Die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis

Symptome, Ursache und Therapie der Myasthenie (Myasthenia gravis)

Schwere Lider bei Müdigkeit, die man kaum noch öffnen kann, kennen viele, doch wenn sich diese bewusst nicht mehr schließen oder öffnen lassen, eventuell Doppelbilder und weitere Muskelschwächen am ganzen Körper hinzukommen, kann es sich um die seltene, gleichzeitig gut erforschte Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis (Myasthenie) handeln. Hierbei stören die eigenen Antikörper die Kommunikation zwischen den Nerven und Muskeln, insbesondere bei Müdigkeit oder Belastung.

Doch was ist die Krankheit Myasthenia gravis und welche neuen Therapien gibt es? Wir erklären Ihnen die Einzelheiten in diesem Ratgeber.

Definition: Was ist die Myasthenia gravis?

Myasthenia gravis oder Myasthenie bedeutet „schwere Muskelschwäche“. Diese Autoimmunerkrankung kennzeichnet sich durch eine neuromuskuläre Störung zwischen den Nerven und Muskeln, die dazu führen, dass die Betroffen Schwierigkeiten haben, ihre Muskeln kontrolliert zu benutzen. Bei gesunden Menschen steuert der Botenstoff Acetylcholin die Impulse zwischen den Nerven und Muskeln. Bei der Myasthenie wird diese Kommunikation jedoch blockiert. Neuen Studien zufolge hing diese Autoimmunerkrankung bei bis zu 80 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer vergrößerten Thymusdrüse zusammen, die am Immunsystem des Körpers beteiligt ist.

In milden Fällen betrifft dies häufig die Augen, kann sich jedoch auch auf die Arme, Beine und andere Muskeln bis hin zu Lähmungserscheinungen ausbreiten. Ebenfalls kann es zu lebensbedrohlichen Folgen führen, etwa wenn die Speiseröhre oder Lunge betroffen sind und es zu Hustenattacken, Schluckbeschwerden oder Atemnot kommt. Die Symptome der Myasthenia gravis verstärken sich für gewöhnlich bei Müdigkeit und Belastung und verbessern sich wieder in Ruhe.

Die Myasthenia gravis kann sowohl Kinder als auch Erwachsene betreffen, am häufigsten tritt sie jedoch bei Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren und bei Männern zwischen dem 51. und 81. Lebensjahr auf. In Deutschland sind schätzungsweise 0,015 Prozent der Menschen von dieser Autoimmunerkrankung betroffen. Derzeit leben rund 15.000 Menschen in Deutschland mit dieser Erkrankung.

Formen der Erkrankung Myasthenia gravis

Die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis zeigt sich mit unterschiedlichen Merkmalen, etwa in unterschiedlichen Lebensaltern, der Antikörper im Blut oder der betroffenen Muskeln:

  • Lokalisation: Bei der Ausbreitung unterscheiden Medizinerinnen und Mediziner zwischen der generalisierten Form, die alle Muskeln des Skeletts betreffen kann, und der okulären Form, bei der hauptsächlich die Augen unter der Muskelschwäche leiden. Die generalisierte Form kann sich aus der okulären Form entwickeln.
  • Erkrankungsbeginn: Die juvenile Myasthenia gravis tritt bereits vor dem 18. Lebensjahr auf, die adulte Myasthenie zwischen dem 18. und 50. Lebensjahr und die Altersmyasthenie nach dem 50. Lebensjahr.
  • Antikörper: Einige Formen der Myasthenie lassen sich durch entsprechende Antikörper im Blut nachweisen. Bei circa der Hälfte der Patientinnen und Patienten können Antikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren im Blut gefunden werden, ein weitere, deutlich kleinerer Teil besitzt Antikörper gegen muskelspezifische Rezeptoren (MuSK).
  • Thymusdrüse: Die Myasthena gravis kann zusätzlich durch Tumore in der Thymusdrüse von den anderen Formen unterschieden werden.

Das Wissen über die vorliegende Myasthenieform kann dabei helfen, den passenden Behandlungsplan für die Patientinnen und Patienten zu entwickeln.

Die Grafik zeigt einen Patienten bei der Diagnose der Myasthenia gravis.

Schweregrade der Myasthenie

Die Myasthenia gravis kann sich im Verlauf der Erkrankung verschlechtern. Aus diesem Grund wird sie anhand der sogenannten Ossermann-Klassifikation in verschiedene Schweregrade unterteilt:

  1. Okuläre Myasthenie: Die okuläre Form betrifft ausschließlich die Augenmuskeln. Zusätzlich kann es zum Doppelsehen (Diplopie) kommen.
  2. Leichte bis mittelschwere generalisierte Myasthenie: Die Myasthenia gravis und ihre Symptome kann sich auf den gesamten Körper ausbreiten und neben der Augenmuskulatur zu einer leichten bis mäßigen Muskelschwäche führen.
  3. Mittelschwere generalisierte Myasthenie: Weitere Muskelgruppen sind betroffen und die Symptome fallen mittelschwer aus.
  4. Schwere generalisierte Myasthenie: Bei diesem Schweregrad liegen schwere Symptome vor. Ist auch die Atemmuskulatur betroffen, kann in dieser Klasse eine Nasensonde nötig werden.
  5. Intubation: Weist ein Patient bzw. eine Patientin diesen Schweregrad auf, so muss diese oder dieser intubiert werden. Je nach Ausprägung der Muskelschwäche wird zusätzlich eine Beatmung benötigt.

Ursachen und Symptome der Myasthenia gravis

Wenn das eigene Immunsystem den Körper angreift, handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung. Bei einigen Patientinnen und Patienten liegen genetische Ursachen vor, doch in den meisten Fällen sind die Ursachen für eine Autoimmunerkrankung wie bspw. die Myasthenia gravis unbekannt. Weshalb sich die Antikörper gegen den eigenen Körper wenden und bei der Myasthenie die Kommunikation zwischen den Nerven und Muskeln der Betroffenen stören, muss also noch erforscht werden. Einige Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang mit einer krankhaft veränderten Thymusdrüse, die einen wichtigen Anteil am Immunsystem trägt. Doch nicht alle Patientinnen und Patienten weißen eine veränderte Thymusdrüse oder einen Tumor in dieser auf.

Je nach Ausprägung und Person können sich die Symptome einer Myasthenia gravis unterscheiden. Ihnen gemein ist jedoch die Verstärkung der Symptome im Verlauf des Tages, d. h. bei Belastung. Im frühen Stadium der Myasthenie betrifft die Schwäche der Muskulatur häufig nur die Augen, in späteren Erkrankungsgraden breitet sich diese auch auf andere Skelettmuskeln aus. Muskeln in den Organen sind hiervon nicht betroffen.

  • Lähmungen der äußeren Augenmuskeln und Lidheberschwäche
  • Doppelsehen (Diplopie)
  • Schwächung der Muskeln, bspw. im Gesicht, der Arme und Beine, aber auch der Atemmuskulatur
  • Taubheitsgefühle bis hin zu Lähmungserscheinungen
  • Muskelschwäche verstärkt sich im Verlauf des Tages
  • Sprech-, Schluck- und Kauschwierigkeiten
  • Atembeschwerden durch eine Schwächung der Atemmuskulatur

Zusätzlich zu diesen Symptomen kann durch akute Infekte, eine fehlende oder falsche Behandlung oder durch Medikamente eine sogenannte myasthene Krise ausgelöst werden. Hierbei wird das Schlucken beeinträchtigt und kann eine Atemlähmung vorliegen, weshalb diese als lebensbedrohlich gilt und sofort notfallmedizinisch behandelt werden sollte.

Wie wird die Diagnose Myasthenia gravis gestellt?

Die Diagnose einer Myasthenia gravis erfolgt durch verschiedene Verfahren. Insbesondere muss diese von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen abgegrenzt werden, etwa dem Lambert-Eaton-Syndrom, der Multiple Sklerose, dem Muskelschwund und Muskelschmerzen, einem Schlaganfall oder einem Hirntumor. Auch Medikamente können Symptome einer Myasthenia gravis auslösen. Zu den Untersuchungsmethoden gehören:

  • eine körperliche Untersuchung mit bspw. dem Simpson-, Pyridostigmin- und Tensilon-Test,
  • elektrophysiologische Untersuchung, bei der bestimmte Nerven mit niedrigen Frequenzen stimuliert werden,
  • Labortests zum Nachweisen spezifischer Antikörper im Blut,
  • bildgebende Verfahren wie die Computertomographie (CT) zur Abklärung einer veränderten Thymusdrüse oder eines Tumors,
  • eine Muskelbiopsie, um andere Krankheiten auszuschließen,
  • der quantitative-Myasthenia-gravis-Test (QMG) zur Bestimmung des vorliegenden Schweregrades sowie

der Myasthenia-gravis-Activities-of-Daily-Living-Test (MG-ADL), der eine Aussage darüber zulässt, in welchem Grad der Alltag des Patienten bzw. der Patientin durch die Myasthenie eingeschränkt wird.

Bewährte und neue Möglichkeiten zur Therapie einer Myathenia gravis

Obwohl die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis selten auftritt, ist diese gut erforscht und behandelbar. Ziel des individuellen Therapieplans stellt hierbei die möglichst vollständige Beschwerdefreiheit der Patientinnen und Patienten dar. Um diesen erstellen zu können, sollte die vorliegende Myasthenieform zunächst diagnostiziert werden.

Früher Erkrankungsbeginn mit Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren

Diese Form der Myasthenia gravis tritt in den meisten Fällen vor dem 51. Lebensjahr auf und geht häufig mit weiteren Autoimmunerkrankungen einher. Zusätzlich kann die Thymusdrüse vergrößert sein (follikuläre Hyperplasie), weshalb eine Entfernung der Thymusdrüse die Symptome der Myasthenia verbessern kann. Ein Tumor der Thymusdrüse (Thymus) tritt bei dieser frühen Erkrankung nur selten auf. Zusätzlich zur Entfernung der Thymusdrüse (Thymektomie) können Medikamente sowie eine Immuntherapie bei der Therapie eingesetzt werden.

Später Erkrankungsbeginn mit Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren

An dieser Form der Myasthenia gravis erkranken die Patientinnen und Patienten nach dem 51. Lebensjahr. Im Gegensatz zur früheren Form vergrößert sich die Thymusdrüse nur in seltenen Fällen, auch Tumore kommen fast nie vor. Die Entfernung der Thymusdrüse bringt deshalb nur in individuellen Fällen ähnliche Ergebnisse wie bei einem früheren Erkrankungsbeginn. Bei dieser Form spielen die passenden Medikamente wie Acetylcholinesterasehemmer und eine Immuntherapie deshalb eine entscheidende Rolle.

Myasthenie mit Tumor in der Thymusdrüse und Antikörpern gegen Acetylcholinrezeptoren

Entwickelt sich in der Thymusdrüse ein Tumor (Thymus), so gehört die Myasthenia gravis bei rund einem Drittel der Patientinnen und Patienten als Begleiterkrankung zum Krankheitsbild. Der Tumor wird bei dieser Art häufig operativ entfernt (Thymektomie), da Medikamente allein häufig nicht ausreichen.

Myasthenie mit Antikörpern gegen muskelspezifische Rezeptoren (MuSK)

Diese Myastheniaform kennzeichnet sich durch die Antikörper gegen muskelspezifische Rezeptoren. Zusätzlich können bei einigen Patientinnen und Patienten Antikörper gegen die Acetylcholinrezeptoren vorliegen. Im Gegensatz zu den anderen Myasthenieformen liegen bei dieser häufig Beschwerden im Nacken- und Halsbereich vor, wodurch das Sprechen, Schlucken und Kauen schwerfällt. Eine Schwäche in den Armen, Beinen oder den Augen tritt dagegen selten auf. Da die Thymusdrüse häufig unauffällig ist, wird hier von einer Entfernung abgeraten und stattdessen mit Medikamenten und evtl. einer Immuntherapie behandelt.

Myasthenie mit Antikörpern gegen LRP4

LRP4 betrifft ebenfalls die Funktion der Acetylcholinrezeptoren. Diese Form der Myasthenie betrifft häufig Frauen und führt ebenfalls selten zu einer Thymusdrüsenvergrößerung. Die Symptome fallen vergleichsweise mild aus. Auch bei dieser Myasthenieform können Medikamente die Lebensqualität verbessern.

Myasthenie ohne nachgewiesene Antikörper

Nicht alle Patientinnen und Patienten weisen Antikörper im Blut auf, dennoch können diese unter den Symptomen einer Myasthenia gravis leiden. Häufig zählen hierzu neben den Symptomen einer generalisierten Myasthenie auch Kau-, Schluck- und Sprechbeschwerden. Ob die Entfernung der Thymusdrüse sinnvoll erscheint, wird individuell entschieden. Zum Behandlungsplan gehören ebenfalls Medikamente und evtl. eine Immuntherapie.

Kortison, Immunsuppressiva, Acetylcholinesterasehemmer und Biologika gehören zu den Medikamenten, mit denen eine Myasthenia gravis behandelt wird. Diese sollen die Antikörper unterdrücken oder verringern, die zur Muskelschwäche und den Symptomen der Myasthenie führen.

Behandlung der Myasthenie gravis in den Kliniken der St. Augustinus Gruppe

In den Kliniken der St. Augustinus Gruppe erhalten Menschen mit einer Myasthenia gravis eine umfassende medizinische Behandlung von der Diagnose, Einteilung in die Schweregrade bis zu einem individuell erstellten Therapieplan, auch bei einer myasthenen Krise. Der Fachbereich Neurologie gewährleistet eine moderne Diagnostik, ein medikamentöses Behandlungskonzept sowie Unterstützung durch unsere Ergotherapeutinnen und -therapeuten, Logopädinnen und Logopäden sowie Physiotherapeutinnen und -therapeuten zur Verbesserung der Beweglichkeit sowie der Sprech-, Schluck- und Kaufunktionen. Im Fachbereich der Tumortherapie werden sie zudem medizinisch im Falle eines Thymus versorgt. Zusätzlich steht ihnen eine Immuntherapie, psychologische Betreuung sowie neurologische Reha zur Verfügung. Dieses ganzheitliche Konzept ermöglicht unseren Patientinnen und Patienten eine bestmögliche Betreuung und Verbesserung ihrer Lebensqualität.

Kliniken der St. Augustinus Gruppe mit Schwerpunkt Neurologie

Das sagen unsere Experten zum Thema Myasthenia gravis

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